Girimananda Sutta

An Girimananda

Ich habe gehört, dass bei einer Gelegenheit sich der Erhabene in Savatth, im Jeta Hain, Anathapindikas Kloster, aufhielt.  Und bei dieser Gelegenheit war der ehrwürdige Girimananda erkrankt, in Schmerzen, von einer schweren Krankheit heimgesucht.  Dann begab sich der ehrwürdige Ananda zum Erhabenen.  Beim Eintreffen verbeugte er sich vor ihm und setzte sich zur Seite.  Als er da saß er, sprach er zum Erhabenen:
„Herr, der ehrwürdige Girimananda ist erkrankt, in Schmerzen, von einer schweren Krankheit heimgesucht.  Es wäre gut, wenn der Erhabene den ehrwürdigen Girimananda aus Barmherzigkeit für ihn besuchen würde."

„Ananda, wenn du zu dem Mönch Girimananda gehst und ihm zehn Wahrnehmungen erzählst, ist es möglich, dass seine Krankheit, wenn er die zehn Wahrnehmungen vernimmt, gelindert werden kann.  Welche zehn?

„Die Wahrnehmung der Unbeständigkeit (anicca)?, die Wahrnehmung des Nicht-Selbst (anatta), die Wahrnehmung des Unschönen, die Wahrnehmung der Nachteile, die Wahrnehmung des Aufgebens, die Wahrnehmung der Leidenschaftslosigkeit, die Wahrnehmung der Beendigung, die Wahrnehmung des Nicht-Entzückens (Abscheu) für jede Welt, die Wahrnehmung der Unerwünschtheit aller Gebilde (sankhāra) und die Achtsamkeit des Ein- und Ausatmens.

1  „Und was ist die Wahrnehmung der Unbeständigkeit?
Es gibt den Fall, in dem ein Mönch - der sich in die Wildnis, in den Schatten eines Baumes oder in eine leere Behausung  begeben hat - so nachsinnt:
‚Form ist unbeständig, Gefühl ist unbeständig, Wahrnehmung ist unbeständig, Gebilde sind unbeständig, Bewusstheit (viññana) ist unbeständig.’  
So verbleibt er Unbeständigkeit hinsichtlich der fünf Anhäufungen des Anhaftens (upādāna khandha) betrachtend.
Dies, Ananda, nennt man die Wahrnehmung der Unbeständigkeit.

2  „Und was ist die Wahrnehmung des Nicht-Selbst?
Es gibt den Fall, in dem ein Mönch - der sich in die Wildnis, in den Schatten eines Baumes oder in eine leere Behausung  begeben hat - so nachsinnt:
‚Das Auge ist Nicht-Selbst, Formen sind Nicht-Selbst,
das Ohr ist Nicht-Selbst, Laute sind Nicht-Selbst,
die Nase ist Nicht-Selbst, Düfte sind Nicht-Selbst,
die Zunge ist Nicht-Selbst, Geschmäcker sind Nicht-Selbst,
der Körper ist Nicht-Selbst, Tastempfindungen sind Nicht-Selbst,
der Intellekt ist Nicht-Selbst, Gedanken sind Nicht-Selbst.’
So verbleibt er Nicht-Selbstheit hinsichtlich der sechs inneren und äußeren Sinnes-Träger betrachtend.
Dies nennt man die Wahrnehmung des Nicht-Selbst.

3  „Und was ist die Wahrnehmung des Unschönen?
Es gibt den Fall, in dem ein Mönch genau über diesen Körper nachsinnt - von den Fußsohlen aufwärts, von der Schädeldecke abwärts, von Haut umhüllt, mit allerlei unreinen Dingen gefüllt:
‚Es gibt in diesem Körper: Kopfhaare, Körperhaare, Nägel, Zähne, Haut, Muskeln, Sehnen, Knochen, Knochenmark, Milz, Herz, Leber, Brustfell, Nieren, Lunge, Dickdarm, Dünndarm, Schlund, Kot, Galle, Schleim, Eiter, Blut, Schweiß, Fett, Tränen, Haut-Öl, Speichel, Rotz, Gelenkflüssigkeit, Urin.’
So verbleibt er das Unschöne hinsichtlich genau dieses Körpers betrachtend.
Dies nennt man die Wahrnehmung des Unschönen.

4  „Und was ist die Wahrnehmung der Nachteile?
Es gibt den Fall, in dem ein Mönch - der sich in die Wildnis, in den Schatten eines Baumes oder in eine leere Behausung  begeben hat - so nachdenkt:
‚Dieser Körper birgt viel Pein, viele Nachteile.  In diesem Körper entstehen viele Arten von Krankheiten, nämlich:
Seh-Erkrankungen, Hör-Erkrankungen, Nase-Krankheiten, Zunge-Erkrankungen, Körper-Erkrankungen, Kopf- Erkrankungen, Ohr-Erkrankungen, Mund-Erkrankungen, Zahn-Erkrankungen, Husten, Asthma, Schnupfen, Fieber, Alterung, Magenschmerzen, Ohnmacht, Durchfall, Grippe, Cholera, Lepra, Eiterbeulen, Flechte, Tuberkulose, Epilepsie, Haut- Erkrankungen, Jucken, Wundschorf, Schuppenflechte, Krätze, Gelbsucht, Diabetes, Hämorrhoiden, Fisteln, Geschwüre;
Erkrankungen, die aus der Galle, aus Schleim, aus dem Wind-Element, die aus Zusammenwirken von Körpersäften, aus Veränderungen des Wetters, aus unregelmäßiger Körperpflege, aus Angriffen, aus Folgen des Kamma hervorgehen;
Kälte, Hitze, Hunger, Durst, Stuhlgang, Wasserlassen.’
So verbleibt er Nachteile hinsichtlich genau dieses Körpers betrachtend.
Dies nennt man die Wahrnehmung der Nachteile.

5  „Und was ist die Wahrnehmung des Aufgebens?
Es gibt den Fall, in dem ein Mönch keinen entstandenen Gedanken der Sinnlichkeit duldet.  Er gibt ihn auf, zerstreut ihn, zerstört ihn oder vernichtet ihn. 
Er duldet keinen entstanden Gedanken des Übelwollens.  Er gibt ihn auf, zerstreut ihn, zerstört ihn oder vernichtet ihn. 
Er duldet keinen entstanden Gedanken des Verletzens.  Er gibt ihn auf, zerstreut ihn, zerstört ihn oder vernichtet ihn. 
Er duldet keine entstanden schlechten, ungeschickten geistigen Eigenschaften.  Er gibt sie auf, zerstreut sie, zerstört sie oder vernichtet sie. 
Dies nennt man die Wahrnehmung des Aufgebens.

6  „Und was ist die Wahrnehmung der Leidenschaftslosigkeit?
Es gibt den Fall, in dem ein Mönch - der sich in die Wildnis, in den Schatten eines Baumes oder in eine leere Behausung  begeben hat - so nachdenkt:
‚Das ist Frieden, das ist vorzüglich - das Beruhigen aller Gebilde, das Loslassen des ganzen Erworbenen, das Enden des Begehrens, Leidenschaftslosigkeit, Entfesselung.’
Dies nennt man die Wahrnehmung der Leidenschaftslosigkeit.

7  „Und was ist die Wahrnehmung der Beendigung?
Es gibt den Fall, in dem ein Mönch - der sich in die Wildnis, in den Schatten eines Baumes oder in eine leere Behausung  begeben hat - so nachdenkt:
‚Das ist Frieden, das ist vorzüglich - das Beruhigen aller Gebilde, das Loslassen des ganzen Erworbenen, das Enden des Begehrens, Beendigung, Entfesselung.’
Dies nennt man die Wahrnehmung der Beendigung.

8  „Und was ist die Wahrnehmung des Nicht-Entzückens (Abscheu) für jede Welt?
Es gibt den Fall, in dem ein Mönch jegliche Bindungen, Anhaften, Halsstarrigkeit des Bewusstseins, Neigungen oder Besessenheiten hinsichtlich jeglicher Welt aufgibt, sich davon enthält und sich nicht darin verstrickt.
Dies nennt man die Wahrnehmung des Nicht-Entzückens für jede Welt.

9  „Und was ist die Wahrnehmung der Unerwünschtheit aller Gebilde?
Es gibt den Fall, in dem ein Mönch sich von allen Gebilden entsetzt, geschämt und geekelt fühlt.
Dies nennt man die Wahrnehmung der Unerwünschtheit aller Gebilde.

10  „Und was ist die Achtsamkeit des Ein- und Ausatmens?
Es gibt den Fall, in dem ein Mönch - der sich in die Wildnis, in den Schatten eines Baumes oder in eine leere Behausung  begeben hat - sich mit gekreuzten Beinen hinsetzt, seinen Körper aufgerichtet hält und Achtsamkeit vor sich bringt.  Immer achtsam atmet er ein; achtsam atmet er aus.

(i)  „Wenn er lang einatmet, erkennt er: 
‚Ich atme lang ein’,
oder wenn er lang ausatmet, erkennt er: 
‚„Ich atme aus lang aus.’
(ii)  Oder wenn er kurz einatmet, erkennt er:
‚Ich atme kurz ein’,
oder wenn er kurz ausatmet, erkennt er: 
‚Ich atme kurz aus.’
(iii)  Er übt sich:
‚Ich werde den gesamten Körper empfindend einatmen.’
Er übt sich:
‚Ich werde den gesamten Körper empfindend ausatmen.’
(iv)  Er übt sich:
‚Ich werde einatmen und dabei Körper-Gebilde beruhigen.’
Er übt sich:
‚Ich werde ausatmen und dabei Körper-Gebilde beruhigen’

(v)  „Er übt sich:
‚Ich werde Verzückung empfindend einatmen.’
Er übt sich:
‚Ich werde Verzückung empfindend ausatmen.’
(vi)  Er übt sich:
‚Ich werde Glücksgefühl empfindend einatmen.’
Er übt sich:
‚Ich werde Glücksgefühl empfindend ausatmen.’
(vii)  Er übt sich:
‚Ich werde Geistes-Gebilde empfindend einatmen.’
Er übt sich:
‚Ich werde Geistes-Gebilde empfindend ausatmen.’
(viii)  Er übt sich:
‚Ich werde einatmen und dabei Geistes-Gebilde beruhigen.’
Er übt sich:
‚Ich werde ausatmen und dabei Geistes-Gebilde beruhigen.’

(ix)  „Er übt sich:
‚Ich werde den Geist empfindend einatmen.’
Er übt sich:
‚Ich werde den Geist empfindend ausatmen.’
(x)  Er übt sich:
‚„Ich werde einatmen und dabei den Geist zufrieden stellen.’
Er übt sich:
‚Ich werde ausatmen und dabei den Geist zufrieden stellen.’
(xi)  Er übt sich:
‚Ich werde einatmen und dabei den Geist vereinen.’
Er übt sich:
‚Ich werde ausatmen und dabei den Geist vereinen.’
(xii)  Er übt sich:
‚Ich werde einatmen und dabei den Geist befreien.’
Er übt sich:
‚Ich werde ausatmen und dabei den Geist befreien.’

(xiii)  „Er übt sich:
‚Ich werde einatmen und dabei Unbeständigkeit betrachten.’
Er übt sich:
‚Ich werde ausatmen und dabei Unbeständigkeit betrachten.’
(xiv)  Er übt sich:
‚Ich werde einatmen und dabei Leidenschaftslosigkeit (1) betrachten.’
Er übt sich:
‚Ich werde ausatmen und dabei Leidenschaftslosigkeit betrachten.’
(xv)  Er übt sich:
‚Ich werde einatmen und dabei Beendigung betrachten.’
Er übt sich:
‚Ich werde ausatmen und dabei Beendigung betrachten.’
(xvi)  Er übt sich:
‚Ich werde einatmen und dabei Loslassen betrachten."’
Er übt sich:
‚Ich werde ausatmen und dabei Loslassen betrachten.’

„Dies, Ananda, nennt man die Achtsamkeit des Ein- und Ausatmens.

„Nun, Ananda, wenn du zu dem Mönch Girimananda gehst und ihm diese zehn Wahrnehmungen erzählst, ist es möglich, dass seine Krankheit, wenn er die zehn Wahrnehmungen hört, gelindert werden kann.“

Daraufhin begab sich der ehrwürdige Ananda, nachdem er diese zehn Wahrnehmungen in der Gegenwart des Erhabenen erlernt hatte, zum ehrwürdigen Girimananda und erzählte sie ihm.  Als der ehrwürdige Girimananda diese zehn Wahrnehmungen vernahm, wurde seine Krankheit gelindert.  Und der  ehrwürdige Girimananda erholte sich von seiner Krankheit.  Auf diese Weise wurde die Krankheit des ehrwürdigen Girimanandas abgewandt.


Anmerkungen

(1)  Wörtlich: Verblassen.


translated from the Pali by Thanissaro Bhikkhu
Übersetzung aus dem Englischen nach Thanissaro Bhikkhu